Große Potenziale: CO2-Emissionen senken durch „betreutes Heizen“

Energieforum West 2020: Starke Forschungsergebnisse beim ersten Online-Seminar

Sie berichteten von Erfolgen, Risiken und Nebenwirkungen beim Vorhaben, CO2-Emissionen und Energieverbräuche beim Heizbetrieb zu senken. Prof. Dr.-Ing. Viktor Grinewitschus sowie Dr. Katja Lepper und Simon Jurkschat aus seinem Team stellten am Dienstag, den 12. August, hochinteressante Zwischenresultate ihres Forschungsprojekts „BaltBest“ vor. Bei diesem Mega-Projekt, vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie mit über 1 Million Euro gefördert, untersucht der EBZ-Professor für Energiefragen 2 Jahre lang (Projektende: November 2020) mithilfe umfangreicher Datenerfassung 100 Gebäude von 6 Wohnungsunternehmen in 21 Städten. Sein Online-Seminar mit dem schönen Titel „Weniger CO2-Emissionen durch betreutes Heizen“ bildete einen würdigen Auftakt für das wichtigste deutsche Branchentreffen für alle Themen rund um Energieeffizienz: das digitale Energieforum West am 25. August 2020. Gastgeber und Initiator ist das EBZ – Europäisches Bildungszentrum der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft.

Seit Jahren werden im Gebäudesektor große Anstrengungen zur Energieeinsparung als Mittel der CO2-Ausstoßsenkung unternommen. Doch die witterungsbereinigten Energieverbräuche etwa in Mehrfamilienhäusern stiegen zwischen 2015 und 2018 erheblich: beim Erdgas +5,8 %, der Fernwärme +4,9 % und dem Öl sogar +8,5 %. Der Grund sind offensichtlich sinkende Energiepreise im gleichen Zeitraum (Erdgas -14,6 %, Fernwärme -7,3 % und Öl -27,2 %). „Das scheint die Endverbraucher zu einem großzügigeren Heizverhalten zu verleiten“, so Prof. Grinewitschus. „Ob zukünftig die Emissionen weiter zurückgehen, hängt vor allem davon ab, wie die CO2-Bepreisung ausfällt. Ist sie hoch genug, wird sie als ein finanzielles Druckmittel und daher wie ein Regulativ wirken.“ Die Folge: Die Nutzer werden intensiver als zuletzt versuchen, eine höhere Energieeffizienz im Heizungsbetrieb zu erreichen. Genau deshalb wird die Bedeutung intelligenter Gebäudetechnik – moderne Heizkessel, Hocheffizienzpumpen, Smart-Home-Technologie – stetig ansteigen.

„Wenn wir uns die Klimaschutzziele für 2030, 2040 und 2050 angucken“, kommentierte EBZ-Vorstand Klaus Leuchtmann, „hinken wir ziemlich hinterher. Allein für 2020 gibt es trotz spürbarer Verringerungen des CO2-Ausstoßes eine Lücke von rund 61 Millionen Tonnen. Wir stehen vor einem knackigen Programm, das abzuarbeiten ist.“ Somit stand die spannende Frage im Raum, welche Klimaeffekte durch ein „betreutes Heizen“ erzielt werden können. Denn auch im Gebäudesektor können noch große CO2-Einsparpotenziale gehoben werden. Also: Welche Effizienzpotenziale stecken in der heutigen Anlagentechnik? Oder anders gesagt: Wie sieht der Einfluss der Betriebsführung auf die Effizienz von Heizungsaltanlagen im Bestand aus? Genau dieses Untersuchungsziel verfolgt das eingangs erwähnte Projekt BaltBest.

Bei BaltBest wird die Betriebsführung durch kontinuierliche Messungen über mehrere Heizperioden untersucht. Eine Messinfrastruktur mit über 5.800 Sensoren in Heizungskellern und Wohnungen liefert dabei täglich über 3,9 Mio. Daten-Telegramme, die im Rechenzentrum des Energiedienstleisters Techem Energy Services GmbH auflaufen und in anonymisierter Form von der EBZ Business School und der TU Dresden ausgewertet werden. Gleichzeitig befragt das EBZ-An-Institut InWIS während der Projektlaufzeit die Mieter zu ihrem Heizverhalten. Damit ergibt sich insgesamt ein gutes Bild über Verhältnisse und Verhalten in den untersuchten Gebäuden. Und BaltBest zeigt auf, dass ein hohes Einsparpotenzial für Energieverbräuche und den CO2-Ausstoß zu heben ist.

Der menschliche Faktor

Auffallend an den Erkenntnissen der EBZ-Wissenschaftler ist, wie viel Einsparpotenzial durch den „menschlichen Faktor“ verloren geht. So nutzen Mieter smarte Thermostate auch dazu, ihre persönliche Wärmekomfortzone zu Lasten des Heizenergiebedarfs auszuweiten. Heizkörper, die vorher nicht betrieben wurden, werden mit einem Zeitprofil ausgestattet. Die Möglichkeit, Zeitprofile zu programmieren, wird seltener als erwartet genutzt. Auch auf der fachlichen Seite gibt es Verbesserungsbedarf: Oft scheint man sich beim Wechsel eines Kessels hinsichtlich der Dimensionierung am alten Kessel zu orientieren – ohne zu berücksichtigen, dass inzwischen z. B. Wärmedämmmaßnahmen am Gebäude stattgefunden haben. So schreibt sich dann die Überdimensionierung der Heizkessel für 20 Jahre fort. Und auch dieses Forschungsresultat gibt zu denken: Die Hauptursachen einer schlechten Heizungsanlagenbetriebsführung sind oft auf Standardeinstellungen nach einer Kesselsanierung, Verschlimmbesserungen durch die Techniker nach Mieterbeschweren und Eingriffe durch Mieter selbst zurückzuführen! Eine subjektive oder objektiv vorhandene Unterversorgung einzelner Heizkörper wird durch den Griff an den Vorlauftemperaturregler gelöst, Überversorgung und hohes Verschwendungspotenzial sind die Folge. Nur 14 % der bei BaltBest untersuchten Anlagen wiesen keinen Handlungsbedarf auf – 44 % dagegen Handlungsbedarf und sogar 42 % dringenden Handlungsbedarf!

13 % Einsparung mit wenig Aufwand

„Durch das Aufdecken der diversen hemmenden Wechselwirkungen wird jedoch auch deutlich, dass es große Potenziale für die Energieeinsparung gibt“, betonte Prof. Grinewitschus. So hat beispielsweise die Betriebsführung einen enormen Einfluss auf den Energieverbrauch einer Liegenschaft. Das Grinewitschus-Team erreichte nach der Optimierung von 7 Anlagen eine durchschnittliche Einsparung des Gasverbrauchs von nicht weniger als 13 %. Laut Prof. Grinewitschus ein gutes Beispiel dafür, wie mit wenig Aufwand der Endenergiebedarf von Liegenschaften gesenkt werden kann, auch wenn die erzielbaren Einsparungen natürlich von der Ausgangssituation in den Liegenschaften abhängt. Er dankte in seinem Schlusswort ausdrücklich den beteiligten Wohnungsunternehmen, die bei der forschenden Überprüfung mitmachen: „Auch das zeigt, wie groß das Interesse dort ist, die Energiebilanzen in den Beständen zu verbessern.“ Der Professor für Energiefragen schloss mit dem Angebot an die Seminarteilnehmer aus der Wohnungswirtschaft, ihn bei Fragen anzusprechen. „Wir haben einiges an Know-How und Werkzeugen für die Diagnose des Energieverbrauchs aufgebaut, welches sich über das Projekt hinaus nutzen lässt.“

Hier wichtige BaltBest-Zwischenergebnisse im Überblick:

Anlagenebene

  • Anlagen sind häufig nicht optimal eingestellt, dies ist unabhängig von Alter und Art der Anlage.
  • Die Leistung der Heizungsanlagen und der Leistungsbedarf der Liegenschaft passen häufig nicht zusammen. Viele Anlagen sind überdimensioniert.
  • Schlecht eingestellte Anlagen führen nicht zwingend zu einem deutlich schlechteren Nutzungsgrad, aber zu einem höheren spezifischen Gasverbrauch der Liegenschaften. Effizienzgewinne durch einen besseren Nutzungsgrad können so überkompensiert werden.
  • Zu beobachten ist nach wie vor eine unkontrollierte Änderung der Einstellwerte der Anlagentechnik.
  • Ein kontinuierliches Monitoring der Heizungsanlagenbetriebsführung ist unverzichtbar.

Nutzerebene

  • Zwei Drittel der Heizkörper mit konventionellen Thermostaten werden täglich verstellt. Bei einem Teil ist bereits ein Zeitprogramm erkennbar, Nutzer statten sich zunehmend selbst mit den Systemen aus.
  • Bei den Nutzern herrscht laut Umfrage ein Interesse an smarten Thermostaten, bei ca. 50 % der Nutzer ist eine Zahlungsbereitschaft vorhanden. Diese orientiert sich an den Preisen für Low-Cost-Geräte.
  • Nur 14% der im Rahmen des Projektes verbauten smarten Thermostate wurden von den Nutzern auch programmiert. Die Verwendung der smarten Thermostate führt deshalb zu einer Zunahme der Heizkörper-Betriebsstunden im Vergleich zu konventionellen Thermostaten. Die Heizkörper-Betriebsstunden korrelieren nicht in dem Umfang mit der Außentemperatur, wie dies bei Nutzern mit manuellen Thermostaten beobachtet wurde.


Eine Anmeldung zur Hauptveranstaltung am 25.08.2020 ist weiterhin möglich. Hier gelangen Sie zur Anmeldung.