„Wer die Wahl hat, hat die Qual“ oder „am Anfang war der Verband“

In seinem Beitrag fasst Prof. Dr. Jürgen Keßler, Stiftungsprofessur für Wohnungsgenossenschaften und genossenschaftliches Prüfwesen, die gültigen Regelungen des Prüfverfahrens für Genossenschaften zusammen:

Richtet man das Augenmerk auf die Prüfung der Genossenschaften und die Abweichungen vom Prüfungsregime der Kapitalgesellschaften (AG und GmbH), so zeigen sich sowohl in der Person des Prüfers als auch im Hinblick auf dessen Auswahl und den Umfang der Prüfung bemerkenswerte Unterschiede. Diese prägen bereits die Gründung der eG. So ist gemäß § 11 Abs. 2 Nr. 3 GenG der Anmeldung der Genossenschaft zum Genossenschaftsregister die Bescheinigung eines Prüfungsverbands beizufügen, „dass die Genossenschaft zum Beitritt zugelassen ist, sowie eine gutachterliche Äußerung des Prüfungsverbandes, ob nach den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen, insbesondere der Vermögenslage der Genossenschaft, eine Gefährdung der Belange der Mitglieder oder der Gläubiger der Genossenschaft zu besorgen ist“. Auch über ihre Gründung hinaus muss die Genossenschaft nach § 54 Satz 1 GenG einem Verband angehören, dem das Prüfungsrecht verliehen ist, durch diesen wird die Genossenschaft geprüft (§ 55 Abs.1 Satz 1 GenG).

Insolvenzfeste Genossenschaften

Während sich bei AG und GmbH die Prüfung auf den Jahresabschluss und gegebenenfalls den Lagebericht beschränkt, sind bei Genossenschaften „zwecks Feststellung der wirtschaftlichen Verhältnisse und der Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung die Einrichtungen, die Vermögenslage sowie die Geschäftsführung der Genossenschaft (…) zu prüfen“. Nur bei Genossenschaften, deren Bilanzsumme 1,5 Millionen Euro und deren Umsatzerlöse 3 Millionen Euro übersteigen ist (auch) der Jahresabschluss unter Einbeziehung der Buchführung und des Lageberichts zu prüfen. Der gegenüber den Kapitalgesellschaften ausgeweitete Ansatz der genossenschaftlichen Verbandsprüfung und die durch die Prüfungsverbände gewährleistete Dauerbetreuung ihrer Mitglieder haben in der Vergangenheit entscheidend zur Insolvenzfestigkeit der Genossenschaften beigetragen, die sich insbesondere deutlich von der mitunter prekären Insolvenzanfälligkeit der GmbH unterscheidet. Dass der Gesetzgeber im Rahmen der Genossenschaftsnovellen 2006 und 2017 die Größenkriterien für die Prüfung des Jahresabschlusses wiederholt deutlich angehoben hat, erweist sich insofern als kontraproduktiv und der Reputation der Genossenschaften abträglich.

Gesetz zum Bürokratieabbau und zur Transparenz in Genossenschaften

Die seitens der Prüfungsverbände erbrachte Betreuungsleistung hat regelmäßig zur Folge, dass das Mitgliedschaftsverhältnis im Prüfungsverband sich über einen längeren Zeitraum erstreckt und abweichend von den Kapitalgesellschaften ein häufiger Prüferwechsel nicht in Betracht kommt. Zwar kann die Mitgliedschaft im Verband gemäß § 39 Abs. 2 BGB mit einer Höchstfrist von 2 Jahren zum Jahresende gekündigt werden, doch muss die Genossenschaft im Lichte der gesetzlichen Pflichtmitgliedschaft einem anderen Verband beitreten. Darüber hinaus ist es zulässig, dass die Genossenschaft die Mitgliedschaft in einem weiteren Prüfungsverband erwirbt, ohne aus dem bisherigen Verband auszuscheiden. Damit stellt sich notwendig die Frage, welchem der Verbände die Pflichtprüfung obliegt.

Nach der Auffassung des OLG Schleswig (Urteil vom 14.09.2016) kam der Genossenschaft insofern ein Wahlrecht zu. Demgegenüber ging das OLG Jena in seinem Urteil vom 10.12.2014 ebenso wie der BGH in seiner Revisionsentscheidung vom 10.01.2017 zutreffend davon aus, dass sich die Verpflichtung der Genossenschaft, die Prüfung durch den bisherigen Verband zu dulden, bereits aus dessen Satzung ergibt. Mit dem 22.07.2017 in Kraft getretenen „Gesetz zum Bürokratieabbau und zur Transparenz in Genossenschaften“ (BGBl. I S. 2434) hat der Gesetzgeber nun durch die Neuregelung des § 55 Abs.4 GenG endgültige Klarheit geschaffen: „Gehört die Genossenschaft mehreren Verbänden an, wird die Prüfung durch denjenigen Verband durchgeführt, bei dem die Genossenschaft die Mitgliedschaft zuerst erworben hat, es sei denn, dieser Verband, die Genossenschaft und der andere Verband, der künftig die Prüfung durchführen soll, einigen sich darauf, dass der andere Verband die Prüfung durchführt.“

Fiat iustitia!