Immobilienwirtschaftliche Trends - Ein Experteninterview

Digitalisierung, Preisentwicklung und Änderungen durch den Gesetzgeber – die Experten Werner Rohmert, Vorstand der Research Medien AG und geschäftsführender Gesellschafter der RMC Rohmert Medien Consult GmbH, und Prof. Dr. Ulrich Nack, Professor für Immobilienmanagement, insbesondere Management gewerblicher Immobilien, im Interview. Was bedeuten die Entwicklungen für die Immobilienwirtschaft?

Skills: Während die Fachwelt Automatisierung rund um das „Smart Home“ feiert, geht es in den Kernbereichen der Immobilienwelt weiter sehr analog zu. Welche Chancen bietet die Digitalisierung in den erfolgskritischen Bereichen wie Kaufvertrags-verhandlungen oder Due Diligence?

Rohmert: Vorab, die aktuell gehypte Automatisierung rund um das Smart Home ist eher ein evolutionärer als ein revolutionärer Prozess. Digitalisierung ist gleichzeitig ein Denkprozess, der nicht mit Scannen und durch alle Prozesse gehende Kundenerfassung getan ist. Big Data für die Immobilienwirtschaft ist noch nicht einmal in Ansätzen in seinen Konsequenzen durchdacht. Da ich die Aufbruchsstimmung rund um das Internet in den neunziger Jahren schon einmal miterlebt habe und sehr viele Gedanken zu Digitalisierung bereits damals vorgedacht worden sind, sehe ich die Entwicklung sehr viel ruhiger. Andererseits steht die Digitalisierungs-Uhr jetzt auf kurz vor 12.00 für die Branche, wobei deutlich zwischen B2B und B2C unterschieden werden muss. Speziell deutsche Fachleute neigen sehr oft dazu, die Bedeutung ihrer Entwicklungen und deren Akzeptanz bei potentieller Kunden zu überschätzen.

So dürften die Feiern zur Smart Home Einführung speziell im institutionellen Wohnungsgeschäft deutlich weniger und vor allem spätere Gäste bekommen, als von Fachleuten erwartet. Axel Gedaschko, GdW-Präsident und Thomas Zinnöcker, CEO der Ista International GmbH, machten vor kurzem in unserem Journalistenverband darauf aufmerksam, dass das durchschnittliche Nettohaushaltseinkommen der Verbandswohnungen bei ca. 1.000 Euro läge. Die monetäre Belastbarkeit klassischer Mieterhaushalte könnte deutlich überschätzt werden. Das gilt auch für den jungen, technikaffinen Mieter, der zudem oft noch nicht langfristig plant. Eine sinnvolle und – vor dem Hintergrund immer knapper werdender menschlicher Betreuungs-Ressourcen – wichtige Zielgruppe sind Senioren. Hier besteht oft Zahlungsfähigkeit und -bereitschaft, wenn die Phase der Selbständigkeit verlängert werden kann.

Im B2B-Bereich wird Digitalisierung zum zukunftsentscheidenden Erfolgsfaktor des institutionellen Immobiliengeschäftes. Der Digitalisierungshype darf aber nicht davon ablenken, dass die Grundidee der elektronischen Datenverarbeitung darin liegt, wiederholte Prozesse zu standardisieren oder insbesondere heute im Zeitalter der Cloud einen gleichzeitigen Datenbank-/Datenraum-Zugriff vieler Nutzer standortunabhängig zu ermöglichen. Singuläre Anwendungen machen nur unter „must have“-Gesichtspunkten Sinn. Digitalisierung wird im institutionellen Geschäft großer Immobilienportfolios zum wichtigen Wettbewerbsvorteil werden. Inwieweit es sich für einen Einzeleigentümer oder ein kleines Portfolio lohnt, die erforderlichen Daten zu erfassen und insbesondere Jahrzehnte zu pflegen, um einen Exit zu erleichtern, dessen Datenstandards heute noch unklar sind, erschließt sich auch nach Fachpräsentationen nicht automatisch als betriebswirtschaftliche „Killerapplikation“.

Bestandsverwaltung bietet Potenzial für Digitalisierung

Prof. Nack: Zugegeben erscheint es heute schwer vorstellbar, dass ein Verkäufer und ein Käufer die Verhandlungen über einen Kaufvertrag jeweils von ihren KI-Programmen führen lassen. Aber wer hätte vor 50 Jahren gedacht, dass beim Schach einmal Computer-programme mit den Großmeistern auf Augenhöhe spielen würden? In Entwicklung befinden sich Anwendungen künstlicher Intelligenz, die in Due Diligence Prozessen eingesetzt werden sollen. Damit werden elektronische Datenräume nach vorgegebenen Inhalten untersucht und ausgewertet. Laut einer Umfrage des Datenraumanbieters Drooms (Drooms 2017) wurde als häufigstes Risiko im Zusammenhang mit grenzüberschreitenden Transaktionen steuerliche Belange (50 %) genannt. Die am schwersten zugänglichen Dokumente (56 %) betreffen hingegen die Themen Umweltschutz und Nachhaltigkeit. Mehr als die Hälfte der Befragten ist der Meinung, dass Investoren derzeit aus Zeitdruck Kompromisse bei der Due Diligence machen müssen. 68 % sehen daher in den kommenden zehn Jahren die automatisierte Dokumentenanalyse als wichtigste Technologie, um die Due Diligence schneller und sicherer zu machen. 40 % erwarten zudem, dass künstliche Intelligenz künftig die verbleibende manuelle Due-Diligence-Arbeit durch Entscheidungshilfen unterstützt.

Skills: Die Kompetenzgruppe Datenaustausch der Gesellschaft für Immobilienwirtschaftliche Forschung hat ihre Arbeitsschwerpunkte im Bereich der Bestandsverwaltung gefunden und hierfür die meisten Richtlinien geschrieben. Was muss passieren, um die Digitalisierung in genau diesem datenintensiven aber weitgehend „analogen“ Bereich der Immobilienwirtschaft voran zu treiben?

Rohmert: Es muss sich rechnen, Prozesse müssen standardisiert werden, Schnittstellen müssen funktionieren und der firmenübergreifende Datenaustausch muss reibungslos möglich sein. 

Prof. Nack: Sehr viel ungenutztes Potenzial für Digitalisierung bietet die Bestandsverwaltung. Es ist schwierig zu beantworten, warum dieses Potenzial bislang noch nicht ausreichend bearbeitet worden ist. Eine erste mögliche Erklärung ist, dass der Markt der Immobilieneigentümer stark fragmentiert ist. Es gibt nur wenige Märkte, in denen einzelne Immobilieneigentümer eine wahrnehmbare Marktmacht darstellen. Zweitens spielt sich der Prozess meistens zwischen den Sphären des Eigentümers und seines Verwalters ab. Diese nutzen in vielen Fällen IT-Systeme, die nicht aufeinander abgestimmt sind.

Benötigt werden einheitliche Standards z.B. für Mieter oder Immobiliendaten. Ein Beispiel aus den USA ist der Argus-Standard, allerdings im Transaktionsbereich. Für Immobilien, die verkauft werden sollen, werden Datensätze im Argus-Standard angelegt. Damit kann jeder Kaufinteressent mit wenig Aufwand sein Cash-flow Modell erstellen. Dieser Standard ist so verbreitet, dass eine Vermarktung ohne diesen kaum vorstellbar ist.

Skills: Das Management von Gewerbeimmobilien erfordert immer mehr Kenntnis vom Geschäft ihrer Nutzer, welches wiederum kürzer werdenden Zyklen unterliegt. Folglich verändern sich auch die Anforderungen an die Immobilien. Was können Eigentümer von Gewerbeimmobilien tun, um ihre Investitionen innerhalb kürzerer Zeit zu amortisieren?

Rohmert: Das Denken im Kopf des Mieters war immer schon ein entscheidender Erfolgsfaktor des Managements von Immobilien. In früheren Dekaden einer sehr viel mittelständischeren Organisation der Immobilienwirtschaft mit sehr viel engeren Beziehung des Eigentümers zum Mieter war das ein entscheidender Wettbewerbsvorteil gegenüber institutionellen Eigentümern, die die Mieterbetreuung in der Vertragsverwaltung ansiedelten und im analogen Zeitalter durch Umzugs-LKW, Handelsregistermeldungen in der Regionalzeitung oder durch unbezahlte Strom- oder Wasserrechnungen von geplanten oder ungeplanten Umzugsabsichten erfuhren. 

Das hat qualifiziertes Asset Management geändert. Dafür unterliegt das Geschäft vieler Nutzer, die ihr Geld mit der Immobilie verdienen, anstatt nur in der Immobilie immer kürzeren Zyklen. Dies trifft vor allem auf den Einzelhandel und Betreiberimmobilien zu. Auch im Bürobereich nehmen der Flexibilitätsansprüche zu. Gleichzeitig verkürzen zunehmende technische Mieter-Anforderungen die wirtschaftlichen Lebenszyklen auf der Immobilienseite. Büroimmobilien unterliegen zudem seit den neunziger Jahren deutlichen Veränderungen, die nicht nur mit dem Abriss oder dem Aufbau von Trockenbauwänden zu lösen sind. Kommunikationsorientierte Immobilien müssen grundsätzlich anders geplant werden.

Das wird viele Eigentümer von Bestandsimmobilien vor Herausforderungen stellen, denen sie möglicherweise nicht gewachsen sind. Aktuell stimmt bei historisch niedrigen Renditen die immobilienwirtschaftliche Mathematik nur noch, wenn nach Mietvertragsauslauf die Marktmieten deutlich gestiegen sind. Die hängen aber weder von Inflation noch von der Geldpolitik ab, sondern von Angebot und Nachfrage und der zyklischen Situation in zehn oder fünfzehn Jahren. Gleichzeitig drohen Renditeänderungen bei einem möglichen Zinsanstieg.

Den Handlungsspielraum, Amortisationsdauern zu verkürzen, begrenzt leider auch die Logik. Eine Verkürzung von Amortisationsdauern ist nun einmal nur durch Kostensenkung bei Erstellung oder im Betrieb oder durch Ertragssteigerungen möglich, denen gerade im langfristig vermieteten Core-Bereich Mietverträge enge Grenzen setzen. Wir werden bei erkennbaren Grenzen der Renditeentwicklung zunehmend damit konfrontiert werden, dass Wertschöpfungsphasen des Neubaus und der Sanierung mit Wertverbrauchsphasen des Eigentums abwechseln.

Prof. Nack: Ein echtes Dilemma. Zur Lösung kenne ich nur Ansätze. Die Preise, die heute für Betreiberimmobilien gezahlt werden, müssen vor diesem Hintergrund besonders hinterfragt werden. Vermieter brauchen das Know How ihrer Mieter, zumindest in Teilen. Wir beobachten dies bereits an einigen Schnittstellen. Es entstehen Asset Manager mit zunehmender Spezialisierung, die auch Mitarbeiter aus der Branche ihrer Mieter beschäftigen. So können sie heute aus der Logistikbranche, dem Einzelhandel oder dem Hotelfach in die Immobilienbranche wechseln. Übrigens gibt es auch schon Banken, die Know How durch Mitarbeiter aus der entsprechenden Branche vorhalten.

Internationale Investoren greifen an

Skills: Ausländisches Kapital, das in Deutschland einen sicheren Hafen sieht, bringt unsere bekannten Vorstellungen von Preisbildung durcheinander. Welche Investoren werden wir in diesem Jahr sehen und wie werden sie unseren Markt beeinflussen?

Rohmert: Wesentliche Auslöser heutiger Preisbildung sind fehlende Alternativanlagen, das historisch niedrige Zinsniveau, das auch bei niedrigen Ankaufsrenditen rechnerisch noch auskömmliche Eigenkapitalrenditen verspricht, und Deutschlands Ruf als „sicherer Hafen“, der Krisen nicht abbildet. Dennoch haben viele deutsche institutionelle Anleger, die Eigenkapitalhinterlegungsvorschriften oder anderen Regulierungen unterliegen, in Deutschland ihre Preisgrenzen erreicht. Das Problem im neuen Jahr, sofern nicht wieder eine Finanzkrise oder politischer „Schwarzer Schwan“ irgendwo in entscheidenden Weltregionen an den Start geht, wird der Einkauf bei Einhaltung bestehender Standards bleiben.

Die Investoren dieses Jahres werden dieselben sein wie im vergangenen Jahr. Einheimische Investoren werden im Core-Bereich Preisgrenzen sehen. Sie werden mit regionaler Präsenz und Know How die Chancen von Immobilien mit Wertsteigerungspotenzial nutzen müssen. Im Wettbewerb um großvolumige Core-Immobilien werden nationale Investoren in den kommenden Jahren leicht das Nachsehen haben. Andererseits schaffen hohe Preise neues Angebot. Bei vielen internationalen, vor allem asiatischen Investoren ist davon auszugehen, dass es sich um Newcomer in den deutschen Märkten handelt. Es stellt sich die Frage, inwieweit die Preiswirkung ihres Markteintritts nicht zu einer Self-Fulfilling-Prophecy sich selbst beflügelnder Märkte führt, die nach der Ikarus-Erfahrung zwangsläufig irgendwann zu Ende gehen muss. Darüber hinaus werden viele dieser Investoren in ihren Modellrechnungen in einer Lernkurve gefangen werden. Core ist ein hoch volatiles, finanzmarktabhängiges Investment, dessen Exit-Perspektiven stark zyklisch sind und dessen langfristiger Betrieb oft an Verpflichtungsaspekte von Eigentum erinnert. Aus Sicht der kommenden 12-36 Monate gehe ich allerdings davon aus, dass wir im fungiblen Segment Preisentwicklungen sehen werden, wie wir sie in früheren Boomphasen nie kannten. Solange diese Preisentwicklungen sich gegenseitig befeuern und keine Realisierung notwendig wird, bleibt die Marktdynamik erhalten.

Prof. Nack: Es wird auch wieder harte Landungen geben, wir wissen nur nicht wann. Im wahrscheinlichsten Szenario sehe ich dafür aktuell keine Anhaltspunkte, gut möglich, dass die Preise allen Unkenrufen zum Trotz weiter steigen werden. In Japan dachte man, dass die Deflation nur ein paar Jahre währen würde, und jetzt ist sie bald seit dreißig Jahren gegenwärtig. Einen dauerhaften Preisverfall sehe ich nur in einem politischen Szenario, das wir uns alle nicht wünschen. Ausländische Investoren bieten aktuell aggressiver und schnappen sich die Deals, inländische Investoren haben oft das Nachsehen. Vielleicht haben ausländische Investoren das Kalkül, dass sie viel größere Verluste erleiden könnten, wenn es ihnen nicht gelingen sollte, ihr Geld in Deutschland zu investieren. Das sollten inländische Investoren mit in ihre Überlegungen einbeziehen, so abenteuerlich es klingen mag. Ich arbeite mit Investoren, die deshalb schon in entlegene Nischen gehen - Wohnen in Portugal zum Beispiel. Aber das können alles nur Satelliten sein. Wenn Sie viel Kapital anzulegen haben, können Sie sich dem Markt nicht entziehen, auch wenn Sie dies vielleicht gerne möchten. Ich rate dazu, das Management der Erwartungen sehr genau zu bedenken.

Skills: Wird die geplante Gesetzesänderung zur Besteuerung von Share Deals zu einem Rückgang beim Transaktionsvolumen führen? Wird dies Auswirkungen auf die Preisbildung am Markt haben, nachdem große Deals in letzter Zeit überwiegend als Share Deals gelaufen sind?

Rohmert: Die mögliche Gesetzesänderung zur Besteuerung von Share Deals wird naturgemäß Auswirkungen haben. Für den Erwerber verändern sich die Kosten. Da die Rechenbarkeit vieler Transaktionen bereits derzeit ausgetestet wird, muss dies entweder zu einer Verminderung der Transaktionen oder zu einer Anpassung der Verkaufspreise führen. Beide Effekte könnten jedoch dadurch vorübergehend überdeckt werden, dass sich durch internationale Nachfrage der Markt weiterhin dynamisch entwickelt.

Prof. Nack: Wenn der Share Deal unattraktiver wird, kommt es vielleicht auch zu einer Verschiebung zwischen den Investmentstilen. Weniger opportunistisch, dort wird mit kürzeren Haltedauern gerechnet, weshalb die Transaktionskosten besonders kritisch sind. Im Core-Bereich mit längeren Haltedauern ist die Grunderwerbsteuer lange nicht so entscheidend. Seitens der Aufsicht würde man es vermutlich begrüßen, wenn Investoren ihr Risiko zurückfahren würden, vielleicht ein ungewollter Nebeneffekt? Nachhaltige Auswirkungen auf Transaktionsvolumen und Preise wird dies vermutlich nicht nach sich ziehen.