Welche Relevanz hat Digitalisierung für Wohnungsgenossenschaften?

Digitale Mieterakten, Chat-Bots und Wohnungsbesichtigungen via Augmented-Reality – die digitalen Entwicklungen schreiten mit enormer Geschwindigkeit voran.

Viele – vor allem große – Wohnungsunternehmen widmen sich mit viel Einsatz diesem Thema. Laut VNW-Studie „Digitale Agenda 2025“ bilden erste Stabsstellen aus, die sich gänzlich der Digitalisierung widmen. Sollten Wohnungsgenossenschaften auf den Digi-Zug aufspringen? Michael Veiga, Vorstandsvorsitzender der Familienheim Karlsruhe eG, berichtet, wie die Wohnungsgenossenschaft Digitalisierung im Unternehmen integriert.

Warum sollten sich Wohnungsgenossenschaften mit dem Thema Digitalisierung befassen? In welchen Bereichen erfasst die Digitalisierung Wohnungsgenossenschaften?

Die Digitalisierung bietet enormes Potential, Geschäftsprozesse effizienter zu machen. Das schafft bei den betroffenen Stellen und Mitarbeitern Freiräume, die für Tätigkeiten genutzt werden können, welche mehr Wertschöpfung versprechen als das Weiterleiten von Zählerstellen oder das Verbuchen von Rechnungen. Digitalisierung bietet in vielerlei Hinsicht enorme Potentiale. Sie schafft Möglichkeiten, Arbeitszeiten flexibler zu gestalten, da Ort und Zeitpunkt der Arbeitserbringung zunehmend unwichtiger werden. Kosten werden vermieden, weil Videokonferenzen oder Anwendungen vor Ort auf Smartphone oder Tablet zusätzliche Wege sparen. Digitalisierung muss auch genutzt werden, um dem vorhandenen Fachkräftemangel entgegenwirken zu können, da absehbar ist, dass Fachpersonal wahrscheinlich nicht mehr in der gleichen Anzahl wie derzeit eingestellt werden kann. Gleichzeitig gestaltet die Digitalisierung das Arbeitsleben attraktiver und macht ein Unternehmen für die Akquirierung neuer Mitarbeiter interessant. Daraus kann ein erheblicher Wettbewerbsvorteil entstehen.

Warum ist das Thema Digitalisierung für die Baugenossenschaft Familienheim Karlsruhe eG wichtig?

Mit lediglich 2.800 eigenen Wohneinheiten sind wir ein vergleichsweise kleines Unternehmen, das seine Nische im Markt finden und bedienen muss. Unsere Unternehmensstrategie sieht seit jeher vor, dass wir uns als Serviceführer präsentieren und die Belange unserer Mitglieder in den Vordergrund stellen. Dazu haben wir bspw. ein Soziales Management sowie einen Regiebetrieb, damit wir bei entsprechenden Aufgaben schnell und unkompliziert handeln können. Mittlerweile haben beide Bereiche eine Größe erreicht, in der die richtige Einteilung und erforderliche Organisation der Mitarbeiter, Fahrzeuge, Maschinen und Geräte einen hohen Umfang und Stellenwert erreicht hat, der nur mit entsprechend digitalisierter Dokumentation der Abläufe noch sinnvoll geregelt werden kann. Als Beispiele seien hier nur die Grünanlagenpflege und die Kleinreparaturen genannt, deren Koordination, Erledigung und Abrechnung durch die Dokumentation der Arbeiten vor Ort vom Mitarbeiter unseres Regiebetriebs direkt über ein Tablet in unser ERP-System erfolgt.

In welchen Bereichen sind Sie digital aufgestellt?

Kürzlich haben wir die Technik bereitgestellt, um einen möglichst hohen Digitalisierungsgrad zu erreichen. Jeder Mitarbeiter verfügt nur noch über einen Laptop sowie ein Smartphone. Die Telefonanlage wird in Kürze abgeschafft; telefoniert wird dann nur noch über Mobiltelefone. Sämtliche Unterlagen wie Mieter- und Mitgliederakten sind bereits archiviert, sodass der Mitarbeiter über die Endgeräte auf alle relevanten Daten zugreifen kann. Für Projekte, wie Bauprojekte aber auch interne Projekte der Organisationsveränderung, nutzen wir MS-Teams als Plattform. Hier ist die Digitalisierung – insbesondere der Bestandsunterlagen der älteren Projekte die nur in Papier- oder Planform vorliegen – noch eine Herausforderung. Wir nutzen für die Vergabe von Handwerkerleistungen an unsere Vertragspartner seit Jahren ein Handwerkerportal, das papierloses Abwickeln von Aufträgen ermöglicht. Wir haben die Möglichkeit, unseren Mietinteressenten virtuelle Wohnungsbesichtigungen anzubieten. Dazu können wir eine Augmented-Reality Brille nutzen bzw. über ein entsprechendes Tool Filme ausstrahlen, die wir über unsere Webseite anbieten oder einfach per Mail versenden. Der Vermietungsprozess wird ebenfalls vollständig digitalisiert, d.h. über die Wohnungsbesichtigung bis hin zum Mietvertragsabschluss kann im Vorfeld einer Vermietung alles über unsere Webseiten bzw. über das Kundenportal laufen, der erste Kundenkontakt findet dann bei Übergabe der Wohnung statt. Das spart erheblich Zeit und Aufwendungen für Besichtigungen und das Versenden von Unterlagen. Derzeit schaffen wir die Möglichkeit, für unsere Mieter Informationen über einen personalisierten Zugang im Kundenportal abrufen zu können, z.B. Betriebskostenabrechnungen o.ä. Letztlich wird es keinen Prozess geben, der nicht von der Digitalisierung betroffen ist. Das ist nur eine kleine Auswahl.

Welche Aspekte/Bereiche umfasst die von Ihnen gemeinsam mit der EBZ Akademie und InWIS erarbeitete Digitalisierungsstrategie? Welche Aspekte soll diese umfassen?

Meine persönliche Erfahrung aus diversen Meetings, Seminaren und Kongressen sowie anderen Veranstaltungen ist, dass die technische Herausforderung der Digitalisierung umsetzbar ist. Das ist im Wesentlichen eine Geld- und Zeitfrage. Viel wichtiger ist allerdings die Unternehmenskultur so anzupassen, dass die Digitalisierung eine Chance hat. Da sehe ich gerade in den Köpfen der Führungskräfte, d.h. der Vorstände und Geschäftsführer, erhebliche Barrieren. Uns ging es bei den durchgeführten Workshops weniger um eine konkrete Digitalisierungsstrategie – wir betrachten diese als wesentlichen Teil der Gesamtunternehmensstrategie –, sondern vielmehr um die Sensibilisierung der Mitarbeiter. Im Zusammenhang mit den Digitalisierungsthemen werden insbesondere die Risiken immer wieder herausgestellt und als Motiv dafür genutzt, weshalb ein Unternehmen diesen oder jenen Schritt jetzt gerade nicht gehen muss. Das halten wir für fatal. Es ist ganz wichtig, den Mitarbeitern im Unternehmen klar zu machen, dass die Chancen der Digitalisierung in allen Bereichen viel größer sind, als bspw. das Risiko den Arbeitsplatz zu verlieren. Wir haben heute Mitarbeiter als Digital Business Manager, Social Media Manager oder Smart Home Spezialisten beschäftigt. Das sind Berufsbilder, die noch vor wenigen Jahren gar nicht existent waren. Es geht also bei diesen Veranstaltungen weniger um die Inhalte als vielmehr darum die Philosophie und eine entsprechende Unternehmenskultur zu entwickeln.

Welche Maßnahmen sind geplant?

Wir haben eine Reihe von weiteren Maßnahmen geplant, die dazu führen werden, dass bspw. Anwesenheitszeiten im Büro keine Rolle mehr spielen. Jeder Mitarbeiter wird einen Verantwortlichkeitsbereich bekommen, für den er zuständig ist und dessen Ergebnis er zu verantworten hat. Am Beispiel Vermietung bedeutet dies konkret, dass ein Mitarbeiter selbstverständlich alleine entscheiden kann, wann er eine Besichtigung durchführt. Warum nicht an einem Sonntag?! Er entscheidet auch selbst darüber, ob er von zu Hause oder vom Büro aus arbeitet. Wir praktizieren die Vertrauensarbeitszeit nun schon einige Jahre und haben damit Erfolg. Wir haben angesichts dieser Möglichkeiten zum eigenverantwortlichen Arbeiten z.B. überhaupt keine Probleme bei der Mitarbeitergewinnung und können freie oder neue geschaffene Stellen kurz und in guter Qualität besetzen! Das wird beim geplanten Neubau einer Geschäftsstelle für unsere Genossenschaft auch dazu führen, dass die Anzahl der festen Arbeitsplätze um mindestens 30% reduziert werden kann.

Wie sind Ihre Erfahrungen?

Die wesentliche Herausforderung bei der Umsetzung der Digitalisierung im Unternehmen ist nicht die Technik, sondern hierfür die Bereitschaft und die Kultur im Unternehmen zu schaffen. Dabei stellt sich als größtes Hindernis das antiquierte Denken der Führungskräfte dar. Es ist leider immer noch so, dass man der Ansicht ist, dass Mitarbeiter nur dann arbeiten, wenn man kontrollieren kann, ob sie denn auch anwesend sind. Davon müssen sich Führungskräfte völlig lösen. Die Arbeitswelt wird schneller und kreativer, vor allem chaotischer und sie wird durch die Digitalisierung weiterhin ständigen Veränderungen unterworfen sein. Unsere Chance als kleines Unternehmen besteht insbesondere darin, dass wir – im Gegensatz zu den großen Tankern – hierauf schnell und unkompliziert reagieren können, wenn es sein muss von einem Tag auf den anderen. Es ist völlig klar, dass nicht alle Projekte im Rahmen einer Digitalisierung erfolgreich sein werden, aber das ist auch nicht erforderlich. Was spricht dagegen, Dinge über Bord zu werfen, die eben nicht funktionieren?

Ist Digitalisierung auch ein Personalentwicklungsthema?

Nur wer die Chancen der Digitalisierung nutzt, um seine Prozesse effizienter und interessanter zu gestalten, wird in Zukunft noch Mitarbeiter gewinnen oder halten können. Die Attraktivität einer Beschäftigung wird in Zukunft im Wesentlichen davon geprägt sein, wie selbstbestimmt und verantwortlich ein Mitarbeiter agieren kann. Starre Arbeitszeiten, Hierarchien und Arbeitsaufgaben passen nicht in die Aufgaben, die wir in Zukunft zu bewältigen haben. Wir glauben daran, dass nur Unternehmen, die hier gut aufgestellt sind, noch die Chance haben werden, hoch motivierte und fachlich spezialisierte Mitarbeiter beschäftigen zu können.