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11. March 2022 - Branchentrends

3 Fragen zu "Klimaneutralität und Energiemanagement": Wo steht die Branche und was sind ihre größten Herausforderungen?

Eine der größten Herausforderungen für die Wohnungswirtschaft ist und bleibt die Klimaneutralität. Wie diese erreicht werden soll, dazu hat Bianca Skottki von der EBZ Akademie Expertinnen und Experten der Branche befragt. Ihre Meinungen zu den aktuellen Herausforderungen finden Sie in diesem Interview.

Philip Engelhardt, Professur für Gebäudeenergietechnik und Wärmeversorgung der EBZ Business School

Christian Gebhardt, Referatsleiter Betriebswirtschaft/Rechnungslegung und Finanzierung beim GdW

Axel Gedaschko, Präsident des GdW

EBZ Akademie: Wo steht die Wohnungswirtschaft aktuell hinsichtlich Klimaneutralität und Energiemanagement Ihrer Einschätzung zufolge?

Philip Engelhardt: Während die Treibhausgasemissionen im Sektor Energiewirtschaft aufgrund der steigenden Nutzung erneuerbarer Energiequellen zur Stromerzeugung seit Jahren rückläufig sind, verzeichnet der Gebäudesektor stagnierende Emissionen, was sich durch den konstant niedrigen Anteil erneuerbarer Energien bei der Wärmeversorgung erklären lässt. Folglich wird die konsequente Sektorenkopplung eine zentrale Rolle bei der Erreichung der Klimaziele einnehmen.

Christian Gebhardt: Wir beobachten unterschiedliche Geschwindigkeiten beim Thema. Neben den Vorreitern beschäftigt sich nun die große Masse der Wohnungsunternehmen mit dem Thema Klimaneutralität.

Ralf Güthert: Aus unserer Sicht gehen Energiemanagement und Klimaneutralität nur gemeinsam: Klimaneutralität erreichen wir nur durch ein effektives Energiemanagement. Um langfristig einen klimaneutralen Gebäudebestand zu erreichen, kommen wir nicht darum herum den Energiebedarf enorm zu senken und die benötigte Energie emissionsfrei zu erzeugen. Die Wohnungswirtschaft hat bereits einen großen Beitrag geleistet, dennoch gibt es weiterhin ein enormes Potential.

Dr. Thomas Hain: Viele Unternehmen sind mit großem Engagement dabei, Ihre Bestände klimagerecht zu modernisieren. Sie stehen dabei jedoch vor einem großen finanziellen Dilemma mit möglichen drastischen Auswirkungen auf die Gesellschaft: Schließlich trägt unsere Branche die Verantwortung für das Zuhause der Benachteiligten und Schwächsten. Unsere Unternehmen wurden mit diesem historischen Kernauftrag gegründet und er ist in den letzten Jahren aktueller denn je. Verlieren wir dieses Gut, riskieren wir sehr schnell den sozialen Frieden in Deutschland.

Wir reden von Unternehmen,
... die entweder schon heute viel zu niedrige Eigenkapitalquoten von deutlich unter 30 Prozent haben und damit am Kapitalmarkt kaum handlungsfähig sind;
... die Gefahr laufen, die durch eine solide Eigenkapitalquote bestehende gute Bonität sehr schnell zu verlieren und dann Ihren Schuldendienst nicht mehr leisten können;
... die Zielrenditen von 2 bis 4 Prozent haben und damit schon "klassische" Modernisierungen kaum refinanzieren können. Die erforderlichen baulichen Anstrengungen im Gebäudebestand für die Klimaneutralität schlagen sich somit nicht adäquat in der Wertsteigerung der Objekte nieder, da diese sich am Mietniveau bemisst und nicht an der Höhe der tatsächlich getätigten Investitionen. Betriebswirtschaftlich verbrennen diese Unternehmen Geld, wenn sie klimagerecht modernisieren;
... die für den Klimaschutz so gigantische Investitionssummen stemmen müssen, dass die Effekte der Fremdkapitalmittel die Unternehmen langfristig wirtschaftlich vehement überlasten, sollte es keine massiven investitionsminimierenden Zuschüsse geben.

Zusammengefasst kommen hier mehrere Faktoren zusammen, die einzeln betrachtet, bereits große Hürden darstellen:

  • Historisch hoher Finanzbedarf (und damit hoher Zinsaufwand)
  • Erheblicher Druck auf die Rendite (hoher Aufwand für bauliche und technische Maßnahmen bei gedeckelten Mieten und daher sinkendem Mietertrag)
  • Starker Druck auf die Eigenkapitalquote (Gefahr der Handlungsunfähigkeit durch Überschuldung bis hin zur Insolvenz)

Hinzu kommen weitere Faktoren, die die Arbeiten an der Klimaneutralität erschweren:

  • zu dünne Personaldecke
  • Fachkräftemangel im eigenen Unternehmen, in Bauwirtschaft und Handwerk
  • Explodierende Preise im Bauelemente-Bereich
  • eine große Anzahl von älteren Gebäudebeständen, die zum Teil sogar unter Denkmalschutz stehen und daher noch aufwendigere Herangehensweisen bei der Modernisierung erfordern

Ulrich Jursch: Ich denke, die Unternehmen haben einen sehr unterschiedlichen Stand, sowohl was den energetischen Gebäudezustand als auch die Versorgungsqualität bei der Wärme, als auch Fragen der Klimaneutralität des eigenen Unternehmens, des eigenen Fuhrparks oder des Themas E-Mobilität betrifft. Das Gleiche gilt für die benötigte eigene Expertise und die unserer Partner. Aber selbst für die Unternehmen, die derzeit im Vergleich gut dastehen, sind die Herausforderungen enorm: Vielfach haben wir den vergangenen Jahren eher die Low Hanging Fruits geerntet. Gebäude energetisch sanieren können wir schon lange. Ab morgen grüne Energieträger zu beschaffen, die dazu passende Technik einzubauen, diese Technik mit digitalen Tools zu steuern und die energiewirtschaftliche Regulatorik zu beachten, ist für viele noch eher neu.

Alexander Rychter: Seit Jahren unternehmen Wohnungsunternehmen und -genossenschaften große finanzielle Anstrengungen, um ihre Bestände energetisch zu modernisieren und Wohnungen energie-effizient neu zu bauen. Allein 2020 hat die organisierte Wohnungswirtschaft rund 9,1 Mrd. EUR in den Bau von Wohnungen investiert - ein Rekordhoch. Rund 10,3 Mrd. EUR flossen zudem in die Bestandsentwicklung der Gebäude.

Trotz erheblicher Investitionen sinken die Energieverbräuche geringer als vor einigen Jahren. Ein wesentlicher Teil des Problems besteht im abnehmenden Grenznutzen bei zunehmenden energetischen Standards, denn je weniger Energie verbraucht wird, umso mehr steigt der Einfluss der Nutzer auf den Energieverbrauch.

Dabei werden die Aussichten für den Bau und Erhalt bezahlbarer Wohnungen durch immer weitere Beschränkungen und Regulierungen sowie Kapazitätsengpässe und Baustoffmangel deutlich getrübt. Bereits jetzt ist ein Zustand erreicht, von dem aus weiteren Verschärfungen zu überproportional steigenden Kapitalkosten führen, während die Einsparungen immer geringer ausfallen.

Dr. Axel Tausendpfund: Unsere Mitglieder unternehmen bereits seit vielen Jahren große Anstrengungen in Richtung Klimaneutralität. Die Herausforderung ist gewaltig und beileibe nicht die einzige Aufgabe, die zu meistern ist. Gegenwärtige politische Entwicklungen, wie beispielsweise die kürzlich erfolgte vollkommen überraschende Einstellung der BEG-Förderung, sind vollkommen kontraproduktiv und erzeugen vor allem Verunsicherung. Für unsere Mitgliedsunternehmen ist bei den Themen Klimaneutralität und Energiemanagement die Planungssicherheit ein entscheidender Faktor. Nur so kann langfristig ein sozial gerechter, klimaneutraler Wohnungsbestand erreicht werden.

Dr. Ingrid Vogler: Sie ist auf mitten auf dem Weg. Die leichtere Hälfte ist bewältigt.

Rüdiger Grebe, Leiter der EBZ Akademie

Ralf Güthert, Geschäftsführer, GWG – Wohnungsgesellschaft Reutlingen mbH

Dr. Thomas Hain, Leitender Geschäftsführer der Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte | Wohnstadt und impulsgeber der Initiative Wohnen.2050

EBZ Akademie: Welche Änderungen haben sich politisch ergeben bzw. sind noch zu erwarten?

Philip Engelhardt: Der im letzten Jahr verabschiedete Koalitionsvertrag sieht das Ziel der Treibhausgasneutralität bis zum Jahr 2045 vor. Allerdings benachteiligt das bisherige System aus Steuern und Umlagen aktuell noch die Stromnutzung zur Wärmeversorgung gegenüber fossilen Energieträgern und erschwert damit die Sektorenkopplung. Der geplante Wegfall der EEG-Umlage, sowie die dezentrale Stromerzeugung im Quartier in Verbindung mit neuen Vermarktungsmodellen lassen aber einen verstärkten Einsatz von Wärmepumpen in der Wärmeversorgung von Gebäuden erwarten.

Christian Gebhardt: Politisch ist die Situation trotz "grüner" Regierungsbeteiligung unsicherer geworden. Dies liegt vor allem am völlig unerwarteten Stopp der energetischen Gebäudeförderung im Neubaubereich. Und auch bei der energetischen Sanierung sind viele Fragen offen was die Zukunft betrifft. Die Verlässlichkeit der Förderung ist auf jeden Fall in der Risikobetrachtung von einem unbedeutenden Risiko zu einem hohen Risiko heraufgestuft worden.

Ralf Güthert: Die Wohnungswirtschaft hat in den vergangenen 30 Jahren, die CO2-Emissionen um rund 60 Prozent vermindert, eine großartige Leistung. Doch um langfristig Klimaneutralität zu erhalten, erfordert es einen hohen finanziellen Einsatz, Austausch und Chancen richtig zu nutzen. Besonders großes Potential liegt im Bereich des klimafreundlichen Sanierens – Möglichkeiten gibt es viele, man muss sie zu nutzen wissen.

Dr. Thomas Hain: Die Transformation der deutschen Wirtschaft in Richtung Klimaneutralität innerhalb von 23 Jahren kann nur mit gewaltigen koordinierten Anstrengungen erfolgen! Wir müssen Politik, Gesellschaft und Wirtschaft transparent darauf ausrichten und einstimmen, wenn wir erfolgreich die Klimaziele erreichen wollen.

Fakt ist: Wir erleben gerade den Beginn einer neuen Phase auf der politischen Ebene. Die vom Bundesverfassungsgericht im Sommer 2021 angemahnten, bislang fehlenden Meilensteine für die Klimaziele werden nun entworfen und diskutiert. Förder- und Ordnungsrecht kann aber nur erfolgreich wirken, wenn es intelligent zwischen klimaschutz-erforderlichen und den realen Zwängen der Wirtschaft vermittelt. Hier ist sicherlich noch einiges an wechselseitigem Verständnis nötig.

Denn eine Verdreifachung der Anstrengungen im Klimaschutz am 11. Januar 2022 ankündigen und am 24. Januar 2022 die gesamte klimawirksame BEG-Förderung ohne Plan B auf Eis zu legen, ist sicherlich nicht zielführend.

Es steht daher auch zu vermuten, dass alle Novellierungen, die nachfolgen werden, voraussichtlich für die Wohnungswirtschaft nicht mehr so positiv ausfallen werden, was die benötigten Anforderungen betrifft. Zudem wird es voraussichtlich ab 2023 eine Deckelung der Fördervolumen p. a. nicht nur für den Neubau, sondern auch für die Modernisierung geben. Eventuell soll auch die Modernisierungsförderung ab dem 1. März 2023 komplett neu aufgesetzt werden. Dies würde bedeuten, dass bis Jahresende 2022 höchstwahrscheinlich Ungewissheit herrscht über das, was uns wirklich erwartet. Ohne Förderung können wir Klimaschutz im sozialen Wohnungsbau nicht in der notwendigen Skalierung umsetzen. Ein oder zwei verlorene Jahre können wir uns in der kurzen Zeit bis 2045 nicht leisten.

Hinzu kommt, dass die EU die Vorgabe plant, dass in den nächsten acht Jahren europaweit rund 15 Prozent der Gesamtbestände verpflichten zu modernisieren sind und für die folgenden 15 Prozent nur drei weitere Jahre einkalkuliert. Das geht sicher ebenso am realen Leistbarem von Markt und Unternehmen vorbei.

Ulrich Jursch: Klimaschutz und Wärmewende sind politisch „der“ Fokus der nächsten Jahre. Die regulatorischen Änderungen greifen tief, erfordern eine enorme Beschleunigung unserer Aktivitäten, viel Expertise, Kapazitäten und Geld. Im Kern müssen wir uns neben der Fortführung der energetischen Sanierung und dem nicht einfachen Umbau der Wärmeerzeugungsanlagen vor allem damit befassen, wie wir die benötigten erneuerbaren Energieträger eigentlich beschafft bekommen – oder selbst erzeugen. Außerdem sind, politisch befördert, viele neue Themen hinzu gekommen, die viel frisches Know how benötigen: E-Mobilität unserer Mieter, in einigen Bundesländern Solarpflicht, digitales Messwesen, Steuer- und Regeltechnik für die Anlagen, Verbrauchssteuerung, die Klimaneutralität der eigenen Bürogebäude und des Bürobetriebs, ein eigener Fuhrpark ohne Ausstoß von Treibhausgasen und - last but not least – ein neuer Blick auf verschiedene Nachhaltigkeitsfragen beim Bau neuer Gebäude. Und: Die politischen Vorgaben werden sich weiter in großer Geschwindigkeit laufend ändern – um nicht zu sagen verschärfen. Das müssen wir ständig im Blick haben und reagieren.

Alexander Rychter: Positive Entwicklungen, wie z.B. die erweiterte Gewerbesteuerkürzung bei Mieterstrom und E-Mobilität oder die Innovationsklausel mit Quartiersansatz, gehen leider oftmals nicht weit genug.

Nach wie vor ist in Deutschland keine konsistente und umsetzbare Klimapolitik vorhanden, sodass die Wohnungswirtschaft zwischen ambitionierten Klimazielen und bezahlbarem Wohnen aufgerieben wird.

Trotz der Wiederaufnahme der Sanierungsförderung, gefährdet der abrupte BEG-Förderstopp im Januar 2022 langfristig bezahlbare und klimaeffiziente Wohnungen. Auch die geplante Neuordnung der Neubauförderung wird den Vertrauensverlust in die Politik nicht in Gänze wieder ausgleichen können, da die hohen Investitionen der sozial verantwortlichen Wohnungsunternehmen in bezahlbaren und klimaschonenden Wohnraum dringend verlässliche Bedingungen und Planungssicherheit brauchen.

Im Zuge dieser Diskussionen wurde zudem angekündigt, dass eine ganzheitliche Betrachtung des Lebenszyklus von Gebäuden zukünftig weiter in den Fokus rücken wird. Demzufolge müssen der Einsatz von klimafreundlichen Baustoffen sowie von Maßnahmen, welche die Biodiversität und Resilienz im Quartier unterstützen, konsequent gefördert und die dadurch erreichten CO2-Einsparungen in der Gesamtbilanz dem Gebäude angerechnet werden.

Dr. Axel Tausendpfund: In der EU und auf der Bundesebene gibt es momentan enorm viel Bewegung und zahlreiche Themen, die die Wohnungswirtschaft betreffen. Green Deal, Fit for 55 und gegenwärtig die neue Europäische Gebäuderichtlinie, um nur einige Beispiele zu nennen. Der Koalitionsvertrag der Ampel-Koalition legt ebenfalls einen starken Fokus auf den Klimaschutz und die Erreichung der Klimaziele im Gebäudesektor. Die Ausgestaltung der Förderung, die Verteilung des CO2-Preises zwischen Mietern und Vermieter, aber auch neue Konzepte wie eine Teilwarmmiete beschäftigen uns intensiv. Mit der abrupten Einstellung der BEG-Förderung ist der Start der neuen Bundesregierung allerdings misslungen. Dort muss nun viel Vertrauen wieder aufgebaut werden.

Ulrich Jursch, Geschäftsführer der degewo netzWerk GmbH

Alexander Rychter, Verbandsdirektor des VdW Rheinland Westfalen

Dr. Axel Tausendpfund, Verbandsdirektor des VdW südwest

Dr. Ingrid Vogler, Referentin Energie und Technik des GdW

Weiterführende Informationen

Wir freuen uns sehr auf das anstehende Seminar "Energie- und CO₂-Bilanzierung – Einführung in die Erstellung einer CO₂-Bilanz für den Immobilienbestand" am 17.05.2022 von 09:00 bis 12:00 Uhr - online, in welcher wir auf das aktuelle Thema des Energiemanagements eingehen und Sie in die Grundlagen der Kennzahlenberechnung einführen. Im Mittelpunkt steht dabei der CO₂-Ausstoß für die Wärme- und Warmwasserversorgung des Immobilienbestands:

https://www.ebz-training.de/energie-und-co2-bilanzierung-einfuhrung-in-die-erstellung-einer-co2-bilanz-fur-den-immobilienbestand?termin=SVA008022

Wir freuen uns auf Sie.

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Über den Autor

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Bianca Skottki

Bildungsreferentin EBZ Akademie

„Lernen bedeutet Veränderung. Es erfolgt im Tun und zusammen mit anderen Menschen. Sie beim Lernen zu unterstützen ist mein Ziel.“