
Machen Mitarbeitergespräche in der Immobilienbranche noch Sinn?
Das jährliche Mitarbeitergespräch ist ein wesentliches Element einer systematischen Personalentwicklung – und seit vielen Jahren insbesondere in größeren Unternehmen geübte Praxis. Vor dem Hintergrund einer zunehmend dynamischen und komplexen Arbeitswelt werden jährliche Mitarbeitergespräche mittlerweile als statisch und damit obsolet angesehen. So bekam der Psychologe und Buchautor Prof. Dr. Armin Trost [1] viel Aufmerksamkeit mit seinem Buch „Unter den Erwartungen – Warum das jährliche Mitarbeitergespräch in modernen Arbeitswelten versagt“, in dem er sich u.a. zu der These verstieg, das „Mitarbeitergespräche krampfhafte Konversationen sind, bei denen Chefs ihre Untergegebenen aushorchen.“
Was steckt hinter dieser Kritik an dem Instrument des jährlichen Mitarbeitergesprächs und wie ist dies aus Sicht einer eher kleinteiligen Immobilienwirtschaft mit ihren vielen KMUs zu bewerten?
Hierzu sollen in diesem Beitrag
- zunächst die mit jährlichen Mitarbeitergesprächen verbundenen grundsätzliche Ziele erläutern werden,
- die aktuelle Kritik zusammengefasst und der Kontext, in dem diese Kritik entstanden ist, beleuchtet werden und
- die Diskussion aus Sicht der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft reflektiert werden.
Ziele eines Mitarbeitergesprächs
Mit der Durchführung von jährlichen Mitarbeitergesprächen verbinden Unternehmen i.d.R. folgende Zielsetzungen:
- Regelmäßiges individuelles Feedback mit allen direkten Mitarbeitern
- Abgleich von Anforderungen und Erwartungen zur Verbesserung der Zusammenarbeit und Leistungssteigerung
- Pragmatische und strukturierte Unterstützung der Führungskräfte für die kontinuierliche Weiterentwicklung und Verbesserung eigener direkter Mitarbeiter
- Identifikation von Entwicklungszielen sowie Vereinbarung von Entwicklungsmaßnahmen/ Weiterbildungen zur langfristigen Orientierung
- Aufdecken kritischer Positionen und gezielte Nachfolgeplanung (Risikomanagement)
Durch die Steuerung der jährlichen Mitarbeitergespräche von Seiten der Personalabteilung, die Verankerung der Mitarbeitergespräche im Jahreszyklus sowie die Verzahnung mit anderen PE-Instrumenten wie z.B. Personalklausuren oder Personalentwicklungsrunden, entsteht ein fester Rahmen für den Dialog Mitarbeiter/ Führungskraft , die Mitarbeiterentwicklung sowie die Nachfolgeplanung.
Veränderung der Arbeitswelt stellt bisheriges Vorgehen in Frage
Dass dennoch heute Mitarbeitergespräche kritisch gesehen werden, ist vor dem Hintergrund des starken Veränderungsdrucks zu sehen, dem heute viele Unternehmen und Mitarbeiter ausgesetzt sind. Digitalisierung und Globalisierung haben in vielen Branchen zu einer Veränderung der Wettbewerbssituation geführt. Wir kennen alle die Beispiele von Apple, Amazon, Uber, Airbnb u.a., die ganze Branchen durcheinander gewirbelt haben. Etablierte Unternehmen wie Kodak und Nokia oder der Buchladen um die Ecke sind im Rahmen dieser z.T. disruptiven Veränderungen untergegangen.
Begleitet und unterstützt wird dieser Trend durch Veränderungen im Kundenverhalten (Nutzung von Vergleichs- und Bewertungsportalen wie z.B. Check 24 vor der Kaufentscheidung, gestiegenen Anforderungen an das Kommunikationsverhalten und die Reaktionsgeschwindigkeit der Unternehmen sowie die Veränderungen in der Arbeitswelt 4.0 (New Work)).
All diese Entwicklungen und Veränderungen führen dazu, dass die heutige Umweltsituation, in der sich Führungskräfte und Mitarbeiter wiederfinden, als VUCA-Welt bezeichnet wird. Das Agronym VUCA steht für dynamische Veränderungen (Volatility), Unsicherheit (uncertainty), Komplexität (complexity) und Ambivalenz/ Mehrdeutig (Ambiguity). Dies gilt insbesondere für große Unternehmen, die am Weltmarkt agieren, sowie für die vielen Start-up Unternehmen. In diesem Umfeld reicht das klassische jährliche Mitarbeitergespräch in der Tat nicht mehr aus.
Neue Ansätze für Mitarbeitergespräche gefragt
Der Buchautor Trost fordert daher zu Recht andere, agilere Ansätze für den Dialog Führungskraft/ Mitarbeiter, wie z.B. die folgenden:
- Über Ziele, Erwartungen, Leistungen offen sprechen und zwar immer dann, wenn die Dinge anstehen („no surprise in the annual review“).
- Beurteilung, Feedback und Anerkennung müssen in kürzeren Zyklen und möglichst konkret erfolgen und nicht nur von Führungskräften, sondern auch von Kollegen und Kunden.
- In agilen Arbeitswelten ist Selbststeuerung gefragt, und so wandelt sich die Rolle der Führungskraft in Richtung Partner, Coach oder Vermittler.
- Zusätzlich zur jeweiligen Führungskraft sollten sich Mitarbeiter gegenseitig Feedback geben (Instant Feedback und Gamification über Intranet).
Diesen Forderungen für Unternehmen aus der VUCA-Welt ist absolut zuzustimmen. Allerdings hängt die Entscheidung pro/contra Mitarbeitergespräch ganz wesentlich vom Reifegrad und der Situation des jeweiligen Unternehmens ab. Wenn ein Unternehmen gut ausgebildete Führungskräfte mit einer langen Erfahrung in der Feedback-Kultur und im Mitarbeitergespräch haben und in der Unternehmenssituation mit Veränderungen und Komplexität umgehen müssen, dann machen die o.g. agilen Formen der Feedback- und Dialogkultur Sinn.
Von der Fach- zur Führungskraft in zwei Zügen oft zu kurz gedacht
In Unternehmen, in denen in der Vergangenheit häuft die beste Fachkraft Führungskraft wurde, Führungskräfte eher Fachvorgesetzte sind und nicht systematisch auf Ihre Rolle geschult wurden, können agile Formen der Mitarbeiterführung schnell zu einer Überforderungen der Führungskräfte und Mitarbeiter führen. Zu diesem letztgenannten Unternehmenskreis müssen nach unseren Erfahrungen auch viele Unternehmen der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft gezählt werden. Die Bedeutung von Führungskräfteentwicklung und Unternehmenskultur war angesichts der geringen Mitarbeiterzahlen und fehlender personeller Ressourcen im Bereich der Personalentwicklung bei vielen dieser Unternehmen eher gering ausgeprägt – im Gegensatz zur Situation in den großen Wohnungs- und Immobilienunternehmen.
Unternehmen ohne ausgeprägte Führungskultur sollten behutsamer vorgehen: zunächst die Führungskräfte gut auszubilden, ihnen mit klassischen Jahresgesprächen und ergänzenden PE-Instrumenten wie z.B. Personalklausuren klare Standards- und Routinen als Basis geben. Wenn hier erste Erfahrungen gesammelt wurden, können und sollen agilere Konzepte und Strukturen ergänzt werden. Wie so oft im Leben gibt es auch beim Thema Mitarbeitergespräche keine absoluten Wahrheiten, sondern vielmehr ein sowohl als auch … eben in Abhängigkeit von der konkreten Unternehmenssituation.